Mit breitem Grinsen
Seit nunmehr 50 Jahren kriegen die „Rolling Stones“ keine „Satisfaction“
Zusammengefunden haben die vier bis fünf britischen Rockmusiker 1962. Da sie sich seither nicht trennen konnten, müssen sie weiter miteinander spielen.
Von Steffen Rüth
London. "Wir sind wirklich gut in Schuss", versicherte Keith Richards kurz nach Beendigung der Welttournee "A Bigger Bang" vor fünf Jahren. "Wir brauchen eine Pause, auch voneinander, aber was wir ganz bestimmt noch nicht brauchen, das ist die Rente."
Nicht nur der heute 68 Jahre alte Gitarrist, sondern auch sein gleichaltriger Gegenpolfreund Mick Jagger sowie die übrigen amtierenden "Stones"-Mitglieder Ron Wood (64) und Charlie Watts (70) dürften also mit einem breiten Grinsen die Nachricht quittiert haben, dass die britische Regierung am 1. Oktober 2011 das "Verpflichtende Renteneintrittsalter" hat fallen lassen. Seitdem muss auf der Insel niemand mehr nach Hause geschickt werden, wenn er 65 wird. Sondern kann so lange weiterarbeiten, wie er Lust, Luft und Körperkraft hat.
Zwar kann den fidelen Freiberuflern die Gesetzesänderung schnuppe sein, doch sieht es derzeit ganz danach aus, als wollten sich die "Rolling Stones" in den kommenden zwölf Monaten einen ganz besonders großen Sack voll Arbeit aufladen. Zumal: Wann, wenn nicht 2012? In diesem Jahr zelebrieren die Herren nämlich ihr 50-Jähriges als Band. Die Goldene Hochzeit, gewissermaßen. Und sie scharren offenbar ungeduldig mit den Hufen. "Ich wüsste nun wirklich nicht, warum wir 2012 keine Show auf die Beine stellen sollten", so Richards im vergangenen Herbst gegenüber der Musikzeitschrift, die fast so heißt wie die Band. "Ich zähle praktisch darauf. Es muss von mir aus auch gar nicht diese übliche Spektakel-Scheiße sein, aber irgendetwas müssen wir uns wirklich einfallen lassen."
Hinter den Kulissen schachern bereits die großen globalen Tourneeveranstalter wie AEG, Live Nation und der langjährige "Stones"-Promoter Michael Cohl um die Rechte an einer Tour, die – sollte sie wirklich stattfinden –, die umsatzstärkste in der Geschichte des Rock ’n’ Roll zu werden verspräche. Auch kamen die Musiker vor Weihnachten zum ersten Mal seit langem wieder alle für eine Bandbesprechnung in London zusammen. Doch offiziell ist noch nichts. Insbesondere Mick Jagger zögert noch, wie es heißt. Er soll immer noch sauer sein auf Keith, der in seiner Autobiografie "Life" ziemlich übel über Jagger und unter anderem auch über dessen angeblich dürftige Penisgröße abgelästert hat. Ach Gottchen, so geht das doch bereits seit einem halben Jahrhundert.
"Mick und ich sind wie zwei Brüder", so Richards. "Wir brauchen das einfach mit dem Gezanke, es ist nicht böse gemeint, aber manchmal schreien wir uns halt an, damit wir uns gut fühlen können. Ein bisschen Ernst ist da natürlich auch bei, oft handeln unsere Meinungsverschiedenheiten davon, dass wir unterschiedliche Vorstellungen haben, was die ,Rolling Stones’ denn nun eigentlich sind. Die Theorien, die wir dabei aufstellen, sind manchmal so philosophisch, dass wir sie selbst nicht mehr restlos verstehen. Unterhalb dieser Ebene lauert aber ein sehr festes, stabiles Band, das uns zusammenhält. Ich kann nicht richtig erklären, was diese Verbindung zum Kleben bringt. Ich meine, über die Jahre haben wir alle oft genug versucht, das ,Stones’-Band, absichtlich wie unabsichtlich, zu zerreißen, Es ist uns nie geglückt." Was das bedeutet, ist dem Gitarristen klar. "Dieses Band ist offenbar größer und stärker als ihre Egos. Was wirklich etwas heißen will."
Rückblende. Mick Jagger war eigentlich ein schüchterner Junge. Immer ein bisschen zu schmal, ein bisschen zu klein, ein bisschen zu schmächtig. Nicht so einer von den wilden Typen wie Keith Richards, den er auf der "Wentworth Primay School", also der Grundschule, in Dartford, Grafschaft Kent, kennengelernt hatte. Schon damals war Richards der Frechere, der Verwegenere, auch der Coolere der beiden. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert. Jahre später traf man sich wieder, auf dem Bahnhof in Dartford. Jagger, der mit vollem Namen Michael Philip heißt, war in Dartford zur Welt gekommen, befand sich aber auf dem Sprung nach London. Schließlich hatte er dort einen Platz ergattert an der "London School of Economics", und ein ordentliches Wirtschaftsstudium hat noch niemandem geschadet, auch Jagger sollte das später noch erfahren.
Sie haben den Rock ’n’ Roll neu definiert. Ach, im Grunde haben sie ihn überhaupt erst erfunden. "Worlds Greatest Rock-’n’-Roll-Band" nennen sie sich ja selbst, und niemand würde ihnen im Ernst diesen Titel streitig machen wollen. Mittendrin: Mick Jagger, das omnisexuelle Wunderwesen. Bessere Sänger und bessere Songwriter hat es immer gegeben, aber halt keinen besseren Charismatiker, keinen helleren Fixstern. Solche Rockpersonen wie Jagger werden ja heutzutage gar nicht mehr hergestellt.
Musikalisch teilte er sich die Verantwortung mit seinem Kreativpartner Richards. Keith kam eher vom Blues, Mick eher vom Pop, zwischen diesen Polen blieb sich die Band lebenslang treu. Nach dem Treffen auf dem Bahnhof machen sie schnell Nägel mit Köpfen. Während Jagger zunächst weiter studiert, treibt Richards die Idee voran, rekrutiert weitere Mitglieder, darunter Brian Jones, der in den Anfangsjahren die Gruppe wesentlich prägte, dem Lebenswandel aber nicht gewachsen war und 1969 drogen- und alkoholkrank im heimischen Swimming Pool ertrank. Man schreibt die ersten Songs. Im Juli 1962, dem Jahr, in dem sie die Band gründeten, finden sie auch endlich einen Namen: Rechtzeitig zum Livekonzert-Debüt am 12. Juli im Londoner "Marquee-Club" lassen sie sich von Muddy Waters’ "Rollin’ Stone Blues" inspirieren. Im folgenden Jahr schließen sie einen Plattenvertrag mit Decca-Records ab.
Musikalisch teilte er sich die Verantwortung mit seinem Kreativpartner Richards. Keith kam eher vom Blues, Mick eher vom Pop, zwischen diesen Polen blieb sich die Band lebenslang treu. Nach dem Treffen auf dem Bahnhof machen sie schnell Nägel mit Köpfen. Während Jagger zunächst weiter studiert, treibt Richards die Idee voran, rekrutiert weitere Mitglieder, darunter Brian Jones, der in den Anfangsjahren die Gruppe wesentlich prägte, dem Lebenswandel aber nicht gewachsen war und 1969 drogen- und alkoholkrank im heimischen Swimming Pool ertrank. Man schreibt die ersten Songs. Im Juli 1962, dem Jahr, in dem sie die Band gründeten, finden sie auch endlich einen Namen: Rechtzeitig zum Livekonzert-Debüt am 12. Juli im Londoner "Marquee-Club" lassen sie sich von Muddy Waters’ "Rollin’ Stone Blues" inspirieren. Im folgenden Jahr schließen sie einen Plattenvertrag mit Decca-Records ab.
"Rockmusik in einer Band zu machen, war früher etwas ganz Neues", sagt Jagger im Rückblick. "Richtige Tourneen mit entsprechender Ausrüstung und Logistik, so wie sie heute für uns selbstverständlich sind, gab es damals in den Sixties noch gar nicht, das kam erst Anfang der 70er wirklich auf. Man zog noch von einer Stadt zur nächsten, unregelmäßig und oft ziemlich spontan." Viel Geld zu verdienen war dementsprechend ein Ding der Unmöglichkeit, erst recht für die Musiker. Bis 1966 hatten die "Stones" schätzungsweise 10 Millionen Singles sowie fünf Millionen Alben verkauft – am erfolgreichsten war natürlich "(I Can’t Get No) Satisfaction", das bis heute und mutmaßlich auch für alle Zeiten berühmteste "Rolling-Stones"-Lied.
Kohle? Fehlanzeige. "Wie jede andere Band auch wurden wir anfangs über den Tisch gezogen. Fast allen ging es ähnlich. Erst bist du dankbar, dass du überhaupt spielen darfst, dann reißt du dir irgendwann den Arsch auf, und ein paar Jahre später merkst du, dass du deine Rechnungen ja immer noch nicht bezahlen kannst." Jagger entsann sich seines Studiums, besserte Verträge nach, führte eine für Rockverhältnisse seinerzeit ungewöhnliche Effizienz ein, engagierte ein paar smarte Manager und ließ den Rubel immer mächtiger rollen. "Mein Studium half mir da nicht mehr viel weiter, ich bin ja sowieso kaum noch hingegangen. Aber ich war immer aufmerksam und habe eine Menge gelernt in den Jahren."
Heute sind die "Rolling Stones" nicht nur die berühmteste, sondern auch die langlebigste und erfolgreichste Rockband aller Zeiten. Eine Institution. Ein ausgesprochen munterer Mythos. Wer an "Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll denkt, dessen Gedanken kreisen unweigerlich in Richtung Richards und Jagger. Der eine hatte mehr mit Drogen, der andere mehr mit Sex zu tun. Während Jagger betont, er vermeide Alkohol und Zigaretten, trifft man Richards in der Regel weder ohne das Eine noch das Andere an. 2006 fiel er sogar besoffen von einer Palme, aber er hat natürlich weit härtere Exzesse bemerkenswert gut überstanden. Als sein Kumpel Bill Clinton ihm vergangenes Jahr in New York den Norman-Mailer-Preis für "Life" überreichte, konnte er sich den guten alten Kakerlaken-Atomkrieg-Keith-Witz nicht verkneifen.
In dem halben Jahrhundert, das sie nun im Geschäft sind, haben Jagger, Richards, Watts, Wood und (bis zu seinem Ausstieg 1993) Bill Wyman seriös geschätzte zwei bis drei Milliarden US-Dollar umgesetzt. Den Mammutanteil dazu tragen beileibe nicht mehr die Platten bei. Den letzten richtigen Hit hatten sie 1981 mit "Start Me Up", das anderthalb Jahrzehnte später noch mal für etliche Millionen zu Werbezwecken an Microsoft vertickt wurde. Seit dem 2005 veröffentlichten Album "A Bigger Bang" gab es keine neue Musik mehr. Laut Keith Richards ist auch keine neue Platte in Arbeit. Die alten werfen ja auch genug ab, kürzlich erst wurde "Some Girls" aus dem Jahre 1978 mit zuvor unveröffentlichten Songs auf den Markt gebracht. Und die Wiederveröffentlichung von "Exile On Main Street" erreichte 2010 die Spitze der britischen Charts – 38 Jahre, nachdem das Werk erstmals dort gestanden hatte.
Dennoch: Selbst wenn die "Stones" etwa 24 Songs geschrieben haben – darunter Kulturgut wie "Brown Sugar", "Honky Tonk Woman", "Angie" oder "It’s Only Rock ’n’ Roll (But I Like It)" – und mehr als 200 Millionen Alben verkauften, so verdienen sie ihr Geld seit Jahren auf der Bühne. Die Konzertreisen sind es, die sich als Banknoten-Druckmaschine erweisen. Seit der "Steel-Wheels"-Tour von 1989 war jede der schön regelmäßig absolvierten Welttourneen erfolgreicher als die vorherige. Die Tour "A Bigger Bang" führte die "Stones" zwischen 2005 und 2007 erstmals nach China. Richards: "Ein Traum, für dieses obskure Völkchen zu spielen. Ich hätte vor 30 Jahren auch niemals für möglich gehalten, mal in Moskau oder Ost-Berlin aufzutreten, also in Ländern, die uns lange als Feind und Gefahr gesehen haben."
Als die Musiker am 26. August 2007 nach der letzten Show in der Londoner "O2-Arena" ihre Einnahmen zählten, kamen sie auf einen Umsatz von 558 Millionen US-Dollar: ein Weltrekord, der erst von der "360 Degrees Tour" übertroffen wurde. "Sie machen es einzig und allein noch wegen der Kohle", wetterte der ausgestiegene Bill Wyman schon vor Jahren. "Mick und Keith können nicht aufhören. Die gehen doch nur deswegen noch immer auf Tour, weil sie nicht wissen, was sie sonst machen sollen."
Dabei lässt sich nicht behaupten, dass die Musiker keine anderen Interessen hätten. Mick Jagger nahm unlängst mit seiner neuen Band "SuperHeavy" ein Album auf, Keith Richards kam mit "Life" zu Schriftstellerehren und soll an einem zweiten Teil sowie an einer Soloplatte arbeiten. Die wichtigste "Stones"-Aktivität der vergangenen Jahre war die von Martin Scorcese inszenierte Konzertdokumentation "Shine a Light" aus dem Jahr 2008.
Vorausgesetzt, man einigt sich – und wenn das Vermögen zu mehren war, hat sich diese Band noch immer geeinigt –, dürfte in Kürze mit der Verkündung von Liveterminen für den Jubiläumssommer zu rechnen sein. Tipp: Die "Rolling Stones" spielen jeweils mehrere Abende an einigen ausgesuchten Orten, für den 12. Juli sollten sich Fans vielleicht schon mal um eine Unterkunft in London kümmern. "Ich bin gesund, mir geht es wunderbar", so Mick Jagger. "Was soll ich denn sonst machen? Golfspielen vielleicht? Nein, dabei kriegt man einfach nicht genug Bewegung. Ich mache lieber weiter Musik." Und Kumpel Keith ergänzt: "Diese Band ist schon ein komisches Ungetüm. Wir sind aber sicher, dass wir noch viel zu bieten haben, und dass die Welt sich freut, wenn es die ,Stones’ noch lange gibt. Also Welt: Wir bleiben. Ganz bestimmt."
Artikel vom 21. Januar 2012, 03.20 Uhr (letzte Änderung 21. Januar 2012, 11.20 Uhr)
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The Rolling Stones Tour 2012
Die Rolling Stones wollen 2012 möglicherweise wieder auf Tour gehen. Bereits im Dezember soll eine endgültige Entscheidung darüber gefällt werden.
50 Jahre Rolling Stones - Wird es eine Welttournee geben?
Es wird bereits seit einigen Jahren heftig spekuliert, was sich die Jungs für ihr Bandjubiläum einfallen lassen. Viele Fans hoffen natürlich, dass sie auch nach Deutschland kommen. Bereits im Juli gab es erste Meldungen über eine mögliche Europatournee und einige geplante Konzerte im Hydepark (London). Die österreichischen Fans dürften sich besonders freuen: Möglicherweise treten die Stones im September 2012 im Ernst-Happelstadion in Wien auf. Angeblich gab es bereits erste Anfragen des Managements für drei Konzerttermine.
(Quellen: stonesnews.com,
www.oe24.at)